Transit BRD (Teil 4)

"Haste ma Feua?" grinste es mich von der Seite an. Sabrina hatte sich angeschlichen während ich die Auslagen im Carl-Zeiss-Laden am Alex bewunderte. "Wenn de schön fleißg bist kannste dia hiea wat aussuch'n." "Ich war schon fleißig!"  "Komm wir jehn ins Reisebüro." Verreisen? Kuba oder Sowjetunion? "Quatsch nich so'n Unsinn, komm mit!" Das gelbe kurze Kleid mit den großen Schulterpolstern raschelte beim laufen, die knallroten Pumps klackerten melodisch. Ihr leichtes Make up unterstrich diese klassischen Berliner Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen. Wie kam so jemand nur zur HA II? Also Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung 2 Aufklärung? Im 'Haus des Reisens' ging unsere Tour direkt zum Fahrstuhl. Die Tür schloß sich klappernd. Hier mit ihr stecken bleiben wäre mir nicht unangenehm gewesen. "Man, ditt sind ja Schaltpläne" platze es beim Bilck in mein Kuvert aus ihr heraus. Ich grinste stolz. Den nüchteren Flur zierten Fotos der Interflug. Diese russischen Klapperkisten... Wir steuerten auf die letzte triestgraugelbe Tür zu. "Guten Tag! Nehmen sie Platz und dann zeigen sie mal her. Na, da scheinen wir uns ja in ihnen nicht getäuscht zu haben. Sehr gute Arbeit, fast schon zu gut, Herr Correll." "Dett wa einfach der richtije Zeitpunkt Leutnant. Bessa hätte ditt nich loofn könn." Ich versprach in zwei Wochen mehr zu liefern. Statt nach Kuba ging es nun zum Ausgang.

"Na, noch eine Zigarrette? Haste noch ein bisschen Zeit wollen wir irgendwo spazieren gehen?" Es war schließlich erst Vormittag. "Komm wia fah'n uff'n Fernsehturm." Mußte man da nicht stundenlang anstehen um Kaffee zu trinken? Sabrina stürmte an der Warteschlange vorbei, tuschelte mit der Dame am Eingang und schon hieß es wieder Lift fahren. "Die Besucherplattform befindet sich in einer Höhe von 305m, die Cafeteria ..." monoton ratterte nicht nur die Kabine, sondern auch der Fahrstuhlführer seinen Text runter. Steckenbleiben wäre jetzt doof gewesen. Was für ein Anblick, die Stadt wirkte wie eine Modelleisenbahn. "Siehste den jelben Klinkerbau da hinten?. Ditt ist Prenzlauer Berch da wohn ick." "Dann lass uns mal auf die andere Seite, dann zeige ich dir mein zu Hause." Ich nahm all meinen Mut und dann ihre Hand, die sich sofort sanft aber nur kurz um meine schmiegte. "Hiea nich!" raunte sie. "Siehste da hinten die weißen Hochhäuser, die wie die Orgelpfeifen da stehen? In dem rechts wohnen meine Eltern. Und ein Stück weiter hier her wohne ich."  „Im Feindesland, würde ich sagen“ Wir fuhren ganz erschrocken zusammen. „Walter, wat machst du denn hia?“ „Die Aussicht genießen, so wie ihr zwei. Seid vorsichtig Sabrina! Aber von mir erfährt keiner was. Geht in den Monbijou-Park, da habt ihr Ruhe heute.“

Der Name klang zwar romatisch, aber es war nicht mehr als eine öde Fläche zwischen S-Bahn, Spree und einer Baustelle. Was uns keineswegs störte. „Warum war Walter da oben?“ „Die haben die Aktivitäten verstärkt, überall da wo Westler sich ungestört mit Bürjern von hier treffen könnten. Aba keene Angst, Walta sacht nischt. Ick keene sein Jeheimis.“ Und welches? „Na, dia kann ick et ja sajen. Walta iss schwul. Deshalb isser och mit dia nach Niedafinow. Haste det nich jemerkt?“ Hatte ich nicht, aber jetzt spürte ich etwas. Wir hielten tatsächlich Händchen. „Ick hab's gleich jewußt, als ick dia jesehn hab. Dit wird mehr als Arbeet.“ „Wird das nicht Probleme geben?“ „Man wia habm hiea janz andre Sorjen, kiekste keene Nachrichtn? Aba wat machst du eijentlich. Du bist keen hundatfuffzich Prozentja.“ „Abenteuer?“ „Du hast echt ne Meise. Da haste dia wirklich ne beschissne Zeit ausjesucht. Ick hab manschma Angst.“ Ihre rote Pracht schmiegte sich an meine Schulter. „Dit sind so ville die abhaun. Dit jeht nich mehr lange jut.“ „Ich find die Zeit mit dir ganz schön. Gibt's hier irgendwo ein Café?“ Statt Heißgetränk begann nun eine Ostberlin, äh Hauptstadt – Führung in schnoddrigem Berlinerisch. Vorbei an der gerade wiederaufgebauten Neuen Synagoge, durch eine Straße nach meinem Lieblingsautor benannt, vorbei an allen möglichen Museen, durch den Lustgarten, den Dom links liegenlassend, dafür die Verfasser des Kommunistischen Manifests und Vaterfiguren des Sozialismus auf dem Marx-Engels-Forum würdigend, kehrten wir schließlich im Nußbaum, der ältesten Kneipe Berlins ein. „Man dit jelatsche macht echt durscht!“ zwinkerte ich. „Ej, du berlinerst ja! Bist zu lange mit mir unterwegs, wa?!“ Offensichtlich ja. Die Bedienung erkannte sofort den Westler, wir bekamen Hirschragout und kühles tschechisches Bier, im Gegensatz zum Nebentisch. Bei den Preisen wurde ich zwar meinen Zwangsumtausch von  25 Mark der DDR auch nicht los, aber ich war dem Ziel ein gutes Stück näher. Egal, ich bekam die Kohle sowieso wieder. Ein anderes Ziel mußte noch warten. Sabrina war genauso altmodisch wie ich. Stattdessen sprach sie noch eine Bitte aus, was ihr ein wenig schwer fiel. „Sach ma, kannste mia 'n paa Strumphosen dit nächste mal mitbringn? Unsere Dinga hiea sind nicht so dolle.“ „Wie sprichtst du denn von den Erungenschaften des Sozialismus?“ „Willste die Erungenschaft ma fühln? Krepppapier is weich dajejen. Oder sind die teua bei euch?“ Nein, die waren bezahlbar, aber ich ließ mir das Angebot nicht zweimal machen. „Ej, nich so hoch. Noch looft nischt.“