Transit BRD (Teil 6 + Schluß)

Das tat sie. Denn in den nächsten Tagen war die Grenze für Westberliner dicht.  Die wenigen Telefonleitungen nach Ostberlin waren chronisch überlastet. Keine Nachricht von Sabrina. In meiner Wohnung richtete sich Martina ein und wälzte Kataloge. „Och, guck mal die Wiege mit dem rosa Deckchen müssen wir haben.“ Mir war alles andere als nach Deckchen. Genervt schaltete ich den Fernseher ein. Die Tagesschau lief. „Die machen die Mauer auf. Schatz, die Mauer ist auf!“ „Mmh, ja, sollte lieber die oder die Schwangerschaftshose bestellen?“ Jetzt erwachte der Reporter in mir. „Such dir eine aus, ich gehe jetzt Geschichte knipsen.“ Bewaffnet mit meiner Yashica und den ORWO-Filmen düste ich zum Übergang Sonnenallee. Gegen Morgen war das Chaos so groß, dass ich ungehindert in den Osten kam. Mit der Taxe ging es direkt zur Charitee, wohin auch sonst? „Nein, eine Frau Toussaint haben wir hier nicht!“ Aber sie haben sie operiert. „Nein, da täuschen sie sich. Aber wir sind in diesen Tagen alle etwas durcheinander.“ Weiter ging es nach Prenzlauer Berg. In der sonst überfüllten Kneipe war alles dunkel. Wie gewohnt lief ich in den zweiten Stock und klingelte. „Ja, was wollen sie?“ Na, zu Sabrina, die wohnt doch hier. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Wohnung seltsam anders aussah, an der Klingel ein anderer Name stand und es nach frischer Farbe roch. In den nächsten Wochen versuchte ich zwischen all den „Guck mal wie süß“ und „wenn es ein Junge wird nennen wir ihn...“
„Dann nantet ihr ihn Joscha-David.“ brummte die sonore Bassstimme mir gegenüber im Café am Checkpoint Charlie. „Und?!  Hast du Sabrina noch mal wieder gesehen, weißt du was aus ihr geworden ist, Papa?“ Ungefähr fünf Jahre später traf ich Walter, vor Gericht. Als Richter des Prozesses  konnte ich ihn schlecht nach Sabrina fragen. Immerhin ließ ich ihn mit einer Bewährungsstrafe davon kommen. Die Stasi hatte ihn wegen seiner Homosexualität quasi gezwungen. Ein paar Tage nach der Urteilsverkündung fing mich Onkel Herrmann vor unserer Wohnung ab.  „Ich soll dir was von Walter ausrichten.“ Die alten Seilschaften funktionierten noch. „Sie humpelt in Russland.“ „OK, aber jetzt geh' lieber bevor...“ „Bin schon weg.“ Da war sie wenigstens sicher bis alles verjährt wäre. „Sonst hättste mia och noch verknackt, Meista-Spion! Oda sollte ick lieber Doppel-Spion sagn?“ Sabrina und ihr schleichen, dass hatte sich in den 23 Jahren nicht geändert. „Jetzt wird es interessant, Papa!“ „Ey,kleener du siehst jenau aus wie dein Vadder! Tschuldijung det ick so spät bin. Ick mußte noch'n paa Strumphos'n koof'n. Dein Schlitzohr von Vadda hat nich nua für uns, sondern och für den Westen jearbeitet. Mit zwee Fraun konnta ja och. Aba nu jbt's nur noch eene. Haste schon erzählt?“ Ich brauchte nichts zu erzählen, Joscha-David hatte den Ring an der linken Hand längst entdeckt.